farbbewegung und farbraum bei gerhard lojen (1981)
Text von arnulf rohsmann
die hier gezeigten arbeiten von gerhard lojen sind in den letzten drei fahren entstanden. es gehört zur methode lojens, jeweils ein thema in einem programm auf mögliche varianten hin zu untersuchen, mehrere versionen anzubieten, ausschließlichkeit von einzelaussagen zu vermeiden. wenn zwei thematisch gleiche bilder, z. b. durch die umkehrung von farbreihen oder -gängen unterschieden sind, so ist damit auf der ebene des entwurfes und der produktion kein totalitätsanspruch formuliert. vielmehr geht es um ein abtasten des möglichen im entwerfen und um die anerkennung gleicher realisierbarkeit für gleichwertige lösungen. in diesem entschluss – dokumentiert auf der produktionsebene – liegt eine spielerische und gleichwohl politische dimension. auf diese weise ist das jüngere werk von gerhard lojen in kompakte themenbereiche gegliedert, die jeweils eine binnengliederung durch die variation des konstruktiven vorwurfes aufweisen (z. b. sehschlitzbilder, raumgitter, mehrfarbige reihen, regenbogenbilder, randzonenbilder ... )
eine große werkgruppe zeigt folgendes schema: auf einer reinweißen fläche liegt eine farbreihe, die bei der ersten kontaktaufnahme unverändert der folge der spektralfarben nachgebildet ist, in die aber störfaktoren in bezug auf diese abfolge eingebaut sind. das sind dunkeltrübungen im überlappungsbereich der als grundfarben angesehenenen farbqualitäten. so tritt als übergang von rot nach blau nicht etwa violett auf, sondern das rot verdunkelt sich stetig. aus dem rot, das so stark dunkelgetrübt ist, daß die qualität rot kaum mehr erkennbar ist, werden nun die dunkeltrübungen stufenweise reduziert, bis blau als ungetrübte und gesättigte qualität hervortritt. dasselbe betrifft den übergang von blau nach grün, in dem das cyan negiert wird. die erwartungshaltung des rezipienten, ein gleichsam intaktes spektrum präsentiert zu bekommen, wird unterlaufen. lojen hat an anderer stelle von ähnlichen vorgangsweisen als „informellen schalk" gesprochen; z. b. wenn farbreihen plötzliche wendungen nehmen oder unversehens abbrechen (G 23/81).
die gängigen vermittelnden qualitäten (cyan und violett) werden ersetzt durch die dunkeltrübung, die ihrerseits, indem sie das blau in beiden richtungen überlagert, das vermittelte isoliert. das sonst (im spektrum) gleichwertige wird durch die andere art der vermittlung selbst zu etwas anderem, obgleich es seine qualität beibehält. die farbe, hier nicht wie etwa in der hard-edge-malerei in ihrer faktizität begriffen, wird bei lojen zum träger eines geschehens. dieses bedarf hier, um erkannt zu werden, des vergegenwärtigten bildes der ungestörten farbreihe. das geschehen ist inhaltslos und trägt den Charakter eines verfahrensmodells, das übertragbar ist bis hin in die soziale praxis.
die variabilität von farbreihen ist bei G 38/81 mit der verlagerung des hauptgesichtspunktes verbunden. zwei reihen laufen nebeneinander in einem bild ab. auf einem weißen, auf die spitze gestellten quadrat bewegen sich beide reihen entlang der senkrechten diagonalen. eine reihe beginnt mit gelb und setzt sich über grün entsprechend der abfolge des spektrums fort, um vorerst wieder mit gelb zu schließen (allerdings ist wie beim vorher erwähnten bild G 23/81 die farbreichweite des blau in beiden richtungen mit der dunkelstufe überlagert).
außerdem ist am unteren ende der reihe dem gelb eine stufe von helltrübungen angeschlossen, so dass eine verbindung der beiden enden des spektralfarbenbandes zu einem farbkreis unmöglich ist. die Intensitätsverminderung des gelb erfolgt in zahlreichen, mit dem auge gerade noch unterscheidbaren schritten. zu der durch die dunkeltrübung beiderseits des blau gestörten totalität des farbkreises kommt damit die strukturell gleichartige, aber qualitativ entgegengesetzte funktion der helltrübung mit zweierlei aufgaben: zum einen erweitert sie die farbbewegung, die sich in derlei reihen entlang des farbkugeläquators mit einem exkurs bei cyan und violett in die untere, dunkle farbkugelhemisphäre abgespielt hat, in die obere, helle an der stelle des gelb. damit ist paradigmatisch die bewegungsmöglichkeit der farbe in ihrer zweiten und dritten dimension vervollständigt (das ist die farbhelligkeit und die -sättigung, die als abstand zum gleich hellen grau im jeweiligen farbmodell definiert ist).
zum anderen bewirkt der farbgang von gelb nach weiß ein hineinwachsen der reihe in den ebenfalls weißen bildgrund. das weiß ist als ein pol der farbkugel der endpunkt der farbbewegung und steht für die summe des farbigen lichts. als nicht veränderbares element kontrastiert es die dynamik der reihen abgesehen von der faktizität des farbkörpers erweckt es als nichtfarbe und helligkeitsoptimum den eindruck der ungreifbarkeit, wiewohl es als bildgrund fläche ist.
eine problematik der farbflächenmalerei war stets die räumliche relation der verschiedenen farbpläne zu einem fond. hier ist sie demonstriert durch das hineinführen eines farbbandes in den grund, dem es aufgelegt ist.
die farbreihe wird, wie erwähnt, in so kleine stufen aufgelöst, dass sie knapp über dem schwellenwert ihrer unterscheidbarkeit liegen. neben diese reihe wird nun in G38/81 eine zweite gestellt, die aus ihr hervorgegangen ist. sie umfasst dieselben qualitäten in denselben quantitäten, aber in anderer abfolge. und zwar so, dass der farbgang von gelb nach rot dreimal, der von gelb nach blau zweimal auftritt und sich insgesamt ein farbband ergibt, das im gerafften ablauf das konstruktionsprinzip des nebenstehenden mehrfach aneinanderfügt. das führt zu unterschiedlichen geschwindigkeiten des ablaufs, da in der gerafften variante nur jede dritte stufe der ursprünglichen reihe zur bildung je einer neuen herangezogen wird. das heißt zum übergang z. b. von gelb nach rot benötigt die gedehnte reihe dreimal so viele stufen wie die geraffte. wird nun in der ersten teilreihe des gerafften bandes z. b. mit der ersten rotstufe des ursprünglichen bandes begonnen und mit der vierten und siebenten usw. fortgesetzt, so beginnt die zweite teilreihe mit der zweiten rotstufe und geht mit der fünften und der achten weiter. analog werden in der dritten teilreihe die stufen drei, sechs und neun der gedehnten farbreihe verwendet – genauso werden die anderen farbgänge gebildet.
aus ein und demselben ausgangsmaterial an farbqualitäten und quantitäten entstehen durch verschiedene bildungsprinzipien unterschiedliche ergebnisse. die Identität der bildungsgesetze in den teilreihen (z. b. jede dritte stufe zu verwenden) bedingt nicht zwingend die optische gleichheit der teilreihen und ist relativiert durch die farbe der ursprünglichen reihe, die farbe spricht das letzte wort.
die vorhin angedeutete problematik fläche/raum ist immer wieder gegenstand von lojens auseinandersetzung. war bei G 38/81 die aufgelegte farbreihe mit dem weißen grund mittels eines farbganges von ihrem gelben ende in richtung weiß verbunden, so tritt bei G 1/81 ein weiterer raumplan hinzu: die rohe leinwand. etwa die oberen 4/6 sind weiß. ihr homogener farbauftrag wird im 5. sechstel in pinselspuren aufgelöst, im restlichen sechstel fehlt der weiße grund. dort liegt über der rohen leinwand ein farbband, welches sich senkrecht durch das hochformatige bild zieht, aus einer spektralen reihe mit der (bereits mehrfach aufgetretenen) dunkeltrübung des blau besteht und das an den gelben enden jeweils eine stufe von gelb nach weiß zeigt.
ist die abwesenheit von produktionsspuren (wie pinselstrichen) in der homogenität des farbauftrages längst als zeichen für das zurücktreten des autors akzeptiert, wird gleichermaßen der anspruch des bildes offengelegt, transpersonale aussagen zu treffen und zeitlichkeit quasi klassizistisch zu negieren. so wird mit den hier sichtbaren pinselspuren explizit auf das weiß als produkt eines malvorganges verwiesen. in bezug auf die raumflächendiskussion ergibt dies die anerkennung einer dritten ebene, die des bildträgers. auf ihr, die selbst statisch ist, vollzieht sich das aufbringen des weißen grundes, das durch die nichtabgeschlossenheit und die arbeitsspuren in seiner prozessualität begriffen wird und mithin die fläche als gewordene darstellt und sie letztlich als dynamisch definiert. das in der obersten schichte gelegene band ist schon durch die farbgänge dynamisiert. am oberen ende ist es dem weißen grund durch die gelb-weiß-reihe vermittelt, am unteren ende erzeugt das gleiche mittel das gegenteilige ergebnis: das der unvermitteltheit, so wird das fehlen der mittleren raumschicht deutlich.
das bildpaar G 60/80 und G 61/80 (gegen ende zu weiß XIV und XV) basiert auf einem ähnlichen system von raumplänen. innerhalb des lojen'schen oeuvres sind beide werke den „sehschlitzbildern" verwandt. diese waren von raumsituationen bestimmt, in denen dunkle blenden den blick partiell auf dahinterliegendes farbgeschehen freigegeben haben. bei diesen bildern ist das verhältnis von vorn und hinten im raum durch den titel geklärt. der umsprungeffekt kommt nicht zustande. sehr wohl sind aber die symmetrischen farbstufen orange/gelb bzw. rot/orange davon betroffen: es kann sowohl die achse als auch das ende als weiter vorn liegend gelesen werden. ist durch die stufe eine raumschicht festgelegt, so wird deren klar definierte tiefe durch die im schlitz sichtbare reihe von helltrübungen des gelb in die nicht messbare, hinten unbegrenzte, raumtiefe erweitert. bei flächenbezogener lesart dominiert die farbbewegung. im horizontalen balken ist sie eine oszillierende, was auf die symmetrische stufe zurückgeht; im vertikalen ist sie nicht umkehrbar. das spielerische element in den bildern von gerhard lojen erschließt sich erst durch das changieren der lesarten.
eine serie von bildern weicht mit der auflösung des farblich homogenen bildhintergrundes vom gefüge der parallelen raumschichtenführung ab (hommage a kasimir, G36/81). eine farbreihe von rot über Indigo nach blau, das in stetiger helltrübung in weiß übergeführt wird, liegt vor einer blauen fläche, deren genese als verdichtung von verschieden stark getrübten skripturalen elementen einer farbqualität vorgegeben wird. diese sind, je näher dem homogenen blau, umsomehr überlagert. ein drittel dieser hintergrundfläche ist weiß, als zeichen für das noch-nicht. ordnet man handschriftlichkeit und homogenität des farbauftrages persönlicher und transpersonaler aussage zu, so ist damit auch ein zweifel am anspruch konstruktivistischer malerei auf allgemeine gültigkeit verbunden. denn für lojen ist malerei – bei aller rationalität – ein abenteuer.
kunsthistorisch betrachtet handelt es sich hier um einen vorsichtigen rückgriff lojens in die phase eigener informeller malerei. daher rührt das thema der prozesshaftigkeit von kunst, für welches lojen in den jüngeren arbeiten eine synthese mit den erfahrungen der farbflächenmalerei sucht. und das fügt sich auch in die vorstellung von einem pendel, das nach einer ära ratiobetonter kunst in die gegenrichtung ausschlägt.
Erstabdruck in: Gerhard Lojen (Kat.), Ecksaal Joanneum, Graz 1981