Die Sehnsucht nach radikalen, ultimativen Bildern

Ausstellung
20.11.2009 – 21.01.2010
Galerie des Österreichischen Kulturforums
Österreichische Botschaft Berlin in Zusammenarbeit mit der Neuen Galerie Graz

Das Österreichische Kulturforum Berlin und das Land Steiermark haben am Mittwoch, dem 20. Januar 2010, in der Österreichischen Botschaft Berlin zur Finissage der Ausstellung geladen. Gerhard Lojen (1935 – 2005) zählt zu den wichtigsten Begründern und Vertretern der abstrakten Malerei in Österreich. Sowohl als Künstler als auch als Lehrer hat er die Entwicklung der Moderne in Österreich entscheidend geprägt.

Zum Abschluss der Präsentation seiner letzten Schaffensperiode in der Galerie des Österreichischen Kulturforums soll der Mensch Gerhard Lojen spezielle Berücksichtigung finden. Aus diesem Anlass wurde seine Liebe zur Dichtkunst von Ingeborg Bachmann, sowie zur Musik J.S. Bachs und zu Werken der Moderne einen Teil des Abends begleitet. Mitwirkende: Martha Pfaffeneder (Sprecherin) und Franziska Grunze (Violoncello & Viola da Gamba).

 

Einführungstext von Mag. Wilhelm Pfeistlinger:

Sehr verehrte Frau Lojen, sehr geehrte Damen und Herren,

Hoffentlich sind sie gegen etymologische Supergaus immun, denn gleich werden sie Zeuge eines solchen werden. Wer, wie ich jetzt, behauptet, das - vom Spracherkennungs- und Rechtschreibkorrekturprogramm übrigens rot unterwellte - Wort Finissage enthalte aufgrund der lateinisch-französischen Fusion der Worte finis und sage die Aussage, am Ende stehe die Weisheit oder das Ende sei weise, ist aus sprachwissenschaftlicher Sicht ein Dummkopf oder ein Scharlatan, denn „age" ist einfach eine recht häufige Substantivendung im Französischen. Konsequenterweise müsste dann die Korsage als Weisheit für das Herz oder für den Körper bezeichnet werden - und das käme nicht nur einer ähnlichen Absurdität, sondern einer noch perfideren, im wahrsten Sinne des Wortes atemberaubenden Scharlatanerie gleich.

Nichtsdestotrotz käme es mir entgegen, finis und sage auf diese Weise zueinander zu beziehen. Zum einen, weil man am Ende - einer Ausstellung, einer Erfahrung, des Lebens - tatsächlich weiser sein sollte, zum anderen und im besonderen, weil dies eine Ausstellung mit Werken eines Weisen und damit über die Weisheit war, auch wenn sich dieser Weise wohl gescheut hätte, seine „Sehnsucht nach radikalen, ultimativen Bildern" auch nur als Sehnsucht nach Weisheit zu bezeichnen, geschweige denn als Weisheit selbst.

Ich glaube jedoch genau das. Weisheit ist immer nur in Form der Sehnsucht zu haben, also gar nicht zu haben. Denn es gibt keinen Gegenstand, der sie umfassend und abschließend vermittelt, keine Methode, die ihr gänzlich gerecht wird. Könnte man sagen, worin sie bestehe, würde man sie begrenzen. Man kann bloß sagen, worin sie auch besteht, doch nie, worin sie ganz besteht.

Sie ist ultimativ, definitiv und radikal: Sie steht am Ende, hat aber kein Ende, sie ist das Ende. Das Ende, das kein Ende hat, bleibt Anfang, es ist radikal: Wurzel, radfix, rein und ursprünglich, in sich eins, ganz. Jede Definition der Weisheit weist immer über sich auf die unendliche Weisheit, auf das Ganze hinaus. Ultimative, radikale Bilder gibt es nur in Form der Sehnsucht, denn wer ultimative, radikale Bilder findet, hat viel mehr als Bilder gefunden. Ultimative radikale Bilder verwandeln sich in Wegweiser in Richtung Musik und Dichtung und ultimative radikale Musik und Dichtung wiederum in Wegweiser in Richtung ultimativer, radikaler Bilder. Jedes ultimative, radikale Bild, jedes ultimative radikale Lied, jedes ultimative radikale Wort aber öffnet der Sehnsucht eine Tür - wohin?: ins Land der Sehnsucht, ins Land der Sehnsucht nach dem ultimativen, radikalen Besitz. Der ultimative radikale Besitz - wie könnte er uns, den definierten, vorläufigen, zeitlichen, entwurzelten Menschen - zuteil werden, wenn nicht in der abwesenden Anwesenheit der Sehnsucht? Er könnte sich uns schenken, indem er uns sich zuteil machte, doch löschte dies die Sehnsucht nicht, denn wir würden als sein Teil ihn nie umgreifen können. Auch wenn uns alles geschenkt würde, wir würden es nehmen lernen müssen.

Gerhard Lojen wurde vieles geschenkt. Er wusste das und er widmete sein Leben dem Versuch, dieses Nehmen zu lernen. Gerhard Lojen wusste von seiner Begabung und deshalb wusste er um andere Begabungen. Er wusste von der Größe der Bildenden Kunst und verwechselte sie nicht mit der Kunst schlechthin. Die, die ihn kannten, bestätigen: er war ganz Maler und liebte wie verrückt Dichtung und Musik. Er sehnte sich nach ultimativen, radikalen Bildern und wusste, dass ultimative, radikale Bilder in Worte, Töne münden würden, wie viele Musiker auch fühlend wissen, dass ihr Gesang zum Bild sich materialisieren will, weshalb sie oft zum Pinsel greifen. Gerhard Lojen griff zum Buch und zu den Noten.

Weil er wusste, dass ihm vieles, aber nicht alles geschenkt worden war, war ihm alles geschenkt. Das Wissen, dass das Viele nicht alles war, komplettierte das Viele zu allem. Was dem Besitz fehlt, ergänzt die Sehnsucht und was der ergänz  fehlt, ergänzt die Liebe. In der Liebe besitzt sich die Sehnsucht. Liebe ist besitzloser Besitz.

Ultimativ und radikal ist nur das alles einbegreifende Sein. Das Unaussprechliche, Unsichtbare, Unhörbare, das unter, ober, hinter, vor und in jedem Bild, in jedem Wort, in jedem Ton, in jeder Farbe, jedem Schweigen, jedem Klang, jeder Struktur, jedem Sinn und jeder Harmonie liegt. Webt. ist. „Rings", würde Hölderlin vermutlich sagen.

Daher dürfte es keine größere Hommage ä Gerhard Lojen geben, als zu musizieren und zu dichten, zu hören und zu lesen. Auf diese Weise mag die Finissage der Ausstellung zur Vernissage der Weisheit werden. Ganz im Sinne der Sehnsucht Gerhard Lojens und dem etymologischen Supergau ein Placet abtrotzend.

Ein solches trotze ich jetzt auch Ihnen ab - und Ihrer Geduld - wenn ich anlassbezogen ein wenig poetisch diese Einführung in den heutigen Abend beende, mit einem Sonett in Memoriam Gerhard Lojen:

Das Bild im Wort tönt nie zu leise
Um Wirklichkeit im Lied zu werden,
der Ton im Bild schwingt in Gebärden
zu stammeln unsrer Wahrheit Weise.

Das Wort im Bild spiegelt im Kreise
Die Harmonie aller Beschwerden,
das Bild im Ton leuchtet auf Erden
den Himmel aus zur Weiterreise.

Der Ton im Wort wiegt ein die Lauten
ein heller Schattenschlaf wird Schneise
Dem Wort im Ton, und Traumbetauten

Wird Wort und Ton und Bild zu Speise.
Verwandlung isst und ist Vertrauten
Gesang und Sinn und Licht zum Preise.

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