Malkörper (1992)

Text von Werner Fenz

Ist es nicht so, dass die Malerei heute wieder ihre Legitimation jenseits von mimetischer Spurensetzung und „Traumfabrik" nachzuweisen versucht? Sie könnte sich dabei mit gutem Grund auf ihre eigene Tradition zumindest aus den fünfziger und sechziger Jahren berufen. Sie würde außerdem gut achtzig Jahre danach Wilhelm Worringers Begriff „Abstraktionsdrang", mit dem dieser Alois Riegls „Kunstwollen" in spezifizierter Form weiterdenken wollte, mit aktuellen Beispielen belegen. Solche Gebilde, die dem Eigen-Sinn der Form vor den Be- und Nachzeichnungen der Gegenstände den Vorrang einräumen, führen zur Errichtung von Wert- und Beurteilungsskalen, auf denen die Vieldeutigkeit vor der Eindeutigkeit eine erste entscheidende Notierung darstellt. Auch wenn Mehrdeutigkeiten als Rezeptionsmuster aufliegen, können diese umso eher in Funktion treten – dies scheint ein ebenso verwirrender wie sympathischer Umkehrschluss zu sein – je radikaler die Vereinfachung der Formkomplexe angelegt ist.

Solche Grundsätzlichkeiten schlagen in der jüngsten Werkgruppe von Gerhard Lojen deutlich zu Buche. Wir stehen vor einer Minimalisierung des Formrepertoires, das in der scheinbaren Monochromie eine zugespitzte Determinante aufweist. In der Tat führen zwei Farben einen konzentrierten Dialog miteinander: das Grundweiß und das Formweiß. Zumindest auf den zweiten Blick konstatieren wir in den unterschiedlichen Weiß die klassischen malerischen Bedingtheiten von Figur und Grund. Die Korrelation funktioniert grundsätzlich analog zu gegensätzlichen Farbpaaren, und setzt damit den Wahrnehmungsapparat in eingeübten Mustern in Gang. Freilich gibt uns gleichzeitig die Enge der Farbmodulation, wie bei allen Monochromien, zu denken. Selbst die figürliche, also mimetische, Grisaillemalerei am Ende des Mittelalters aktiviert die Seite des Verstandes im Wahrnehmungsprozess. Im zeitbezogenen Gedankenmuster war es die Eroberung der skulpturalen Form, die im Sinne eines Paragonestreites das absolute Primat innehatte, mit den Mitteln der Malerei. In gewisser Weise eine Projektion von einer künstlerischen Gattung in die andere. Unter dem Gesichtspunkt von Raum- und Formprojektionen lässt sich auch Lojens Bildserie betrachten. Der „Abstraktionsdrang" aber tilgt den Wettbewerbscharakter, der hinter den Grisaillen jener Zeit zu finden ist. So stellt sich nicht die Frage nach den geeigneteren Mitteln, der Dimension von Körperlichkeit und Raum zum Ausdruck zu verhelfen, sondern die nach der Besonderheit der so erzeugten Formqualitäten. Sie können in erster Linie in der unbestimmten Bestimmtheit der Gebilde aufgespürt werden. Was in der traditionellen Diktion als „Formverzicht" bezeichnet wird, könnte annäherungsweise durch den Begriff „Malverzicht" ersetzt werden. Das Zurücknehmen malerischer Handlung, die sich auf die Farbsättigung einer abgeklebten Fläche beschränkt, weist der Malerei eine eigensinnige Dimension zu: die auf höchster Sparflamme hergestellte Kreierung von Formbeziehungen. Das ausdifferenzierte malerische Eigenleben weicht dem komprimierten Zeugungsakt. Er tritt als Faktum künstlerischer Kreativität auf, und widersetzt sich in einer entscheidenden Lesart des Werkes den hochentwickelten Kreationen aus gestischem, phantastischem, prononciert subjektivem oder patchworkartig zitierendem Stoff.

Trotz des sogenannten „Malverlusts" sind auch in der Reduktion entscheidende Spurenelemente der Gattung enthalten. Sie äußern sich vorwiegend in der Stofflichkeit des Farbenmaterials, das in manchen reliefierten Kanten der intendierten Körperlichkeit auf die Sprünge verhilft. Die Klebespur reißt als eine Art Schnittstelle das Illusionspotential der Malerei an, wie sie es im selben Moment in unaufdringlich konzeptueller Weise auf die Realität der Sichtbarmachung eines Herstellungsprozesses zurückführt.

Lojens Bilder sind Malkörper, die im Raum fixiert werden. Es handelt sich trotz der Ausschnitthaftigkeit, oder besser, gerade aufgrund dieser, um den Entwurf aller möglichen denkbaren Körperformen in einem räumlichen Beziehungsgefüge. Die geringstmögliche Farbvariation unterstreicht einerseits die Linie ins Archetypische, andererseits verhindert sie eine Loslösung aus dem Bildträger, der klar und deutlich als ein malerischer definiert bleibt. Durch diese strenge Bindung und die ihr vorausgegangene Reduktion dringen die Bilder in ein übergeordnetes, der künstlerischen und pragmatischen Alltagsrealität entkleidetes Denkschema geistiger Totalität vor. Die Körper bewegen sich nicht in Räumen, die unseren klar definierten Erfahrungsräumen nachgebildet sind – freilich ohne bestimmten Assoziationsketten von Erlebnissen und damit verbundenen Ordnungen den Weg zu versperren.

Gerhard Lojen hat seiner Reise zur Bildform und zum Bildraum, die jeweils über ihre autonome Form in grundsätzliche Orientierungsmuster hineinweisen, eine weitere Station hinzugefügt.

Erstabdruck in: Gerhard Lojen, Weiße Bilder— White Paintings (Kat.), Joanneum Ecksaal, 1992. o.S.

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