Gerhard Lojen — ein Prototyp der steirischen Moderne (2000)

Text von Christa Steinle

Kaum ein Künstler der Gegenwart verkörpert das Schicksal der Moderne in der Steiermark so präzise wie Gerhard Lojen, insbesondere weil er nicht nur eine Persönlichkeit, sondern vor allem ein Prototyp der steirischen Moderne ist. Er hat seine Initiation zur Kunst in den 50er Jahren durch die Pole der Avantgarde in Graz, von Kurt Weber bis zur Grazer Sezession, und über den Kärntner Hans Bischoffshausen erfahren. Lojen ist geborener Grazer, der zeitlebens in Graz wirkte, aber dennoch im Dialog und Austausch mit internationaler Kunst stand und steht. Darüber hinaus ist er auch prototypisch für die Vielfalt der Funktionen, die ein Künstler im steirischen Kulturleben innehaben kann. Lojen ist bildender Künstler, ist Lehrer und Architekt. Sowohl als Künstler als auch als Lehrer hat er die Entwicklung der Moderne vorangetrieben, der er Mitte der 50er Jahre erstmals begegnete.
1954 begann er sein Architekturstudium an der Technischen Hochschule Graz. Sein Lehrer für Zeichnen und Malen war Kurt Weber, einer der Wegbereiter der Moderne in der Steiermark. Kurt Weber machte seine Studenten mit der internationalen zeitgenössischen Kunst vertraut, vor allem mit Tachismus, Informel, dem Action Painting von Jackson Pollock, aber auch mit den Ursprüngen der Moderne, dem Kubismus von Georges Braque und Pablo Picasso. Für ein tieferes Verständnis zeigte er den Studenten auch Künstlerfilme wie z.B. Jean Cocteaus Orphöe und Künstlerporträts der Heroen der Moderne. Durch diese Angebote erwarb sich Lojen umfassende Kenntnisse von zeitgenössischen Kunstpraktiken der Abstraktion und des Informel, aber er lernte auch deren Quellen in der Moderne von Kandinsky bis Paul Klee kennen. Unter dem Eindruck dieser künstlerischen Bewegungen begeisterte er sich bereits im ersten Jahr seines Architekturstudiums so sehr für die Kunst, dass er 1955 als Zwanzigjähriger sein erstes Bild malte. Nach wenigen Jahren war seine Position bereits so gefestigt, dass er 1958 in die Grazer Sezession, in der sich auch nach 1945 die heimische Avantgarde versammelte, aufgenommen wurde. Dort fand er einen großen Kreis von Kunstenthusiasten und Connaisseuren wie den Sammler und Kritiker Richard Rubinig und den langjährigen Präsidenten der Sezession, Rudolf Pointner, sowie Alfred Wickenburg, Gottfried Fabian, Friedrich Aduatz, Herbert Felice, Mario Decleva oder Vevean Oviette. Die Sezession vermittelte Lojen durch ihre Ausstellungspolitik von Mondrian bis Vasarely auch die konstruktiven Tendenzen der Moderne. Nicht nur die Brechung und Verschiebung des Gegenstandes durch die multiple Perspektive im Kubismus, sondern die dadurch errungene Flachheit des Bildes, welche die Voraussetzung für die konstruktive Flächenverschiebung bildete, wurden für Lojen wichtig. Seine Beschäftigung mit C. D. Friedrich bestärkte ihn in seiner Auffassung, gewonnen durch die Begegnung mit der konstruktiven Abstraktion, dass „Kunst künstlich ist". Dadurch gelang es Lojen, eine wesentliche Behinderung und Einschränkung der Moderne früh zu überwinden. Wie nämlich der an der Grazer Universität als Dozent für Gegenwartskunst lehrende Arnulf Rohsmann in seinem bedeutenden Aufsatz Abstraktion und Abstrahieren in der österreichischen Kunst" im Katalogbuch zur Ausstellung der Neuen Galerie Identität:Differenz1 1992 deutlich machte, ist die österreichische Moderne in der Hauptsache nur bloße Naturabstraktion und ist selten in die reine Abstraktion von Form und Farbe eingedrungen. Als Ausnahme sieht Rohsmann den gebürtigen Kärntner Maler Hans Bischoffshausen, der 1959 nach Paris übersiedelte und über seinen Freund Lucio Fontana, mit dem er seit 1958 intensive Kontakte hatte, 1962 als Mitglied in die Gruppe ZERO-Avantgarde aufgenommen wurde, die zur europäischen Entwicklungsspitze der Künste zählte. Jenen Hans Bischoffshausen, der in Österreich mit seinen monochromen und flachen Strukturreliefs „am längsten auf europäischem Niveau im Bereich der Abstraktion geblieben ist" (wie Rohsmann schreibt), hatte Lojen durch Kurt Weber kennengelernt. Bischoffshausen hatte 1947 an der TU Graz ein Studium der Architektur begonnen und ebenfalls dank Weber die Malerei der Moderne vermittelt bekommen. Die Begegnung mit Bischoffshausen und dessen Materialbildern (seit 1952) und gestischer Malerei (1955) war ausschlaggebend für Lojens entscheidende Vertiefung der frühen Faszination durch die Abstraktion. Lojen hatte sich durch seine autodidaktischen Studien grundlegend mit der Geschichte der modernen Abstraktion befaßt und sich gleichermaßen deren gegensätzliche Formensprachen, die geometrische Abstraktion des Konstruktivismus und die formlose Abstraktion des Informel, angeeignet. Seine künstlerische Praxis setzte bereits auf der Stufe der reinen Abstraktion ein. Mit Bischoffshausen, der ihm wesentliche Kenntnis der französischen Avantgarde von Yves Klein bis zu Georges Mathieu vermittelte, verband Lojen eine lebenslange Freundschaft. Hans Bischoffshausen hatte die Problematik der Abstraktion und der Monochromie schon frühzeitig um die Problematik des Materialbildes erweitert. Bereits Mitte der 50er Jahre hatte er seine ersten Reliefs aus Spachtelmasse erzeugt, die er 1957 mit Brandspuren und Perforationen strukturell weitertrieb.2 In den 60er Jahren stand Lojen in regem Briefkontakt mit Bischoffshausen, die Freundschaft vertiefte sich, so dass die beiden Künstler in den 80er Jahren spontan den Entschluss fassten, gemeinsam zu malen. Es entsteht eine Serie großartiger gemeinsamer Gemälde in einem Akt höchster Konzentration und gegenseitigen Respekts.

Lojen schuf also in der Nachfolge der Grazer Sezession und ihrer Mentoren der Moderne bereits ab den 50er Jahren abstrakte Bilder von Rang unter Einfluss von Weber und gleichzeitig abstrakte Materialbilder unter Einfluss von Bischoffshausen und dessen künstlerischen Umfelds. Durch seine Materialbilder gehört Lojen zu den wichtigsten Begründern und Vertretern einer abstrakten Malerei in Österreich, deren Wirksamkeit erst in den 90er Jahren durch zahlreiche jüngere Künstler wahrnehmbar geworden ist. Motive des Kubismus wie des Informel, nämlich die materiellen Eigenschaften und Eigenwerte der Farbe wie auch der Fläche, konnte er auf diese Weise in seinen Materialbildern neu formieren. Farbe und Form wurden Eigenschaften des Materials. Die flache Leinwand wurde zum bloßen Farbträger. Ob die Form geometrisch war oder informel, ergab sich aus der Verwendung des Materials. Die Abstraktion wurde dadurch ebenfalls eine Eigenschaft des Materials, das auf einer flachen Fläche aufgetragen wurde. Eine souveräne Autonomie des Bildes in Fragen der Farbe und Form wurde auf der Grundlage eines Materialbewusstseins erreicht. Dieses Materialbewusstsein hat um 1960 die revolutionärste Phase in der österreichischen Kunst ausgelöst, nämlich die Aktionsmalerei von Prachensky, Schilling, Brus, Nitsch, die im Wiener Aktionismus endete, und in der Folge Ende der 60er Jahre die materialbewusste Skulptur von Walter Pichler und Bruno Gironcoli hervorbrachte, deren Vorläufer die informellen Skulpturen der 50er Jahre von Oswald Oberhuber sind und deren Erbe heute Franz West ist. Gemeinsam mit Franz West stellte Lojen übrigens 1986 in der Neuen Galerie aus.3

In dieser euphorischen Phase der Entdeckung der Moderne hat Lojen eine große Anzahl von Bildern gemalt, sodass er sich ab 1959 an verschiedenen Ausstellungen im In- und Ausland beteiligte und bereits nach wenigen Jahren ein anerkanntes Mitglied der Grazer Sezession war. Seinem avantgardistischem Drängen konnte aber die Sezession nicht mehr genügen, sodass er 1977 mit weiteren Mitgliedern wie Fabian, Pointner, Oviette aus dieser austrat und zum Mitbegründer und 1. Vizepräsidenten der Gruppe 77 wurde.

In den 70er Jahren verlagerte Lojen den Schwerpunkt seiner abstrakten Malerei vom Pol der informellen Materialbilder zur geometrischen Abstraktion. Er steigerte die Abstraktion zu einer für österreichische Verhältnisse einzigartigen Immaterialisierung, sodass die Bilder ab 1978 fast leer blieben und nur am Rand farbig bemalt wurden.4 Diese Randzonenbilder sind das Ergebnis seiner intensiven Beschäftigung mit Suprematismus und Konstruktivismus, sowie mit den Schweizer Malern Max Bill und Richard Paul Lohse. Max Bill, der auch Bildhauer und Architekt war, vertrat eine neue, auf mathematischen Konzepten aufbauende Vorstellung von künstlerischer Kreativität und Lohse gehört zu den bedeutendsten Vertretern der Konkreten Kunst, der sich in seinen Bildern mit der Horizontal-Vertikal-Gliederung von Farbfeldern in modularer und serieller Anordnung auseinandersetzte. So beschäftigt sich Lojen um 1975 im Siebdruck mit reinen Farben, die er in geometrischen Motiven wie Diagonalen und V-Elementen umsetzt.

Er nimmt an zahlreichen Gruppenausstellungen teil, so ist besonders bemerkenswert die Ausstellung von 1978 in Deutschlandsberg, wo er unter dem Titel Konstruktive Aspekte der zeitgenössischen Kunst gemeinsam mit Hans Florey und Jorrit Tornquist eine Grazer Gruppe der geometrischen Abstraktion bildete. In den 70er Jahren hat er seine künstlerischen Erfahrungen aber auch in anderen Medien und in Aktionen sehr deutlich artikuliert. So experimentiert er mit einer Erweiterung der Bildfläche oder einer Öffnung in den Raum hinein in einer Serie von Buchobjekten und erhält seine ersten öffentlichen Kunst am Bau-Aufträge.5 Er gestaltet das Gedenkzeichen Soboth-Bundesstraße und die Einrichtung des katholischen Seelsorgezentrums Graz-Kroisbach, eine Skulptur im öffentlichen Raum in Judenburg und bei der Landesberufsschule in Gleinstätten, weiters ein Denkmal für Johannes Kepler bei der Grazer Keplerbrücke und vor allem konzipiert er für die Grazer Musikuniversität die räumliche Umsetzung eines Klavierstückes von Keith Jarret. Er initiiert aber auch im steirischen herbst 78 mit der Gruppe 77 in Rein eine Aktion der Stille, wo minutenlanges Schweigen als sogenannte Leerstellen auch auf unbedruckten Plakaten und in Zeitungsinseraten ohne Text ihre visuelle Umsetzung fand.

Über die Geometrie gelangte er auch zu Gartenstudien, weil er in den geometrischen Hecken von Renaissancegärten Vorfahren der geometrischen Abstraktion erkannte.

Lojen entwickelte ein auf zwei Polen basierendes Bildvokabular: einerseits eine Zeichenstruktur, andererseits eine Farbstruktur. Er verwendet Zeichen als Signale und Landschaft als Farbstruktur. Durch die Begegnung mit Hans Bischoffshausen und dessen Malerei von weißen Energiefeldern angeregt, präfigurierte Lojen eine Tendenz zur Immaterialität und reduzierte in der Folge die Farbe immer mehr auf eine dominante Farbe und auf das Grundmotiv des Dreiecks, als „Raumzeichen, Formzeichen, Landschafts- und Vogelzeichen" wie Wilfried Skreiner 1986 diese Bilder in seinem Katalogtext zur Personale Lojens in der Neuen Galerie interpretierte.6 Parallel zu den Gemälden entstehen Serien von Arbeiten auf Papier, Aquarelle und kleinformatige Farbstift- und Tuschezeichnungen, die durch eine zarte Strichführung und einen lyrischen Ansatz charakterisiert sind.

In den 90er Jahren reduziert und konzentriert sich Lojen auf die weiße Monochromie, wo er das Grundweiß der Dispersionsfarbe und das eine geometrische Form bildende Weiß der Acrylfarbe in einen Dialog setzt und mittels durchsichtigem Gel durchscheinende Strukturen erzielt. Er sucht nicht die Vielfalt der Erscheinungen, sondern in der Reduktion von Farbe und Form findet er die Essenz. Auch hier sehen wir die zwei scheinbar konträren Pole. Das Gel als Rest des Materialbildes und die Monochromie als Rest der Abstraktion. Mit den einfachen geometrischen Formen und der Reduktion auf ein Zweifarben-System innerhalb der Farbe Weiß entwickelt er seine eigene abstrakte Syntax, im Wissen um bereits erzielte Ergebnisse und einer kritischen Aufarbeitung der Geschichte der monochromen Malerei von Malewitsch bis Ad Reinhardt. Indem Lojen die Erfahrungen der informellen Materialbilder, die auf der Struktur des Materials aufbauen, und die Erfahrungen der geometrischen abstrakten Bilder, die auf der Struktur der Zeichen aufbauen, versöhnt und verknüpft, bringt er das eigentliche Ideal der modernen Abstraktion, egal ob geometrische oder informelle Zeichen, auf den Punkt: Die Kongruenz des inneren und des äußeren Bildes. Durch diese Kongruenz erreicht das Bild seine Eigengesetzlichkeit, seine Autonomie, seine Souveränität, gleichzeitig berichtet es dennoch von den inneren Erfahrungen des malenden Subjekts. Ohne diese Kongruenz bliebe die Abstraktion auf der Oberfläche, eine Übung im Feld der sensorischen Reize, ausgelöst durch Form und Farbe. So abstrakt Lojens Bilder auch scheinen mögen, die er in 45 Jahren zwischen informellem Materialbild und geometrischer Abstraktion bis hin zum Nullpunkt entwickelt hat, in Wirklichkeit sind Lojens abstrakte Bilder Symbiosen von Erfahrungen im Widerstand gegen das provinzielle Vergessen. Sie schreiben solcherart die Geschichte der Moderne in der Steiermark fort.

1999 wurde Lojen der Würdigungspreis des Landes Steiermark zugesprochen und damit ein Künstler geehrt, dessen jahrzehntelanges Schaffen sich den wichtigsten Leistungen der Malerei im 20. Jahrhundert verschrieben hat, nämlich dem abstrakten Bild und dem Materialbild, und der sich dadurch in die Kunstgeschichte der Steiermark und Österreichs eingeschrieben hat. Aber auch als Lehrer und Vermittler zeitgenössischer Kunst ist Gerhard Lojen zu würdigen, denn auf der Grundlage seiner Erfahrungen als Künstler konnte er durch seine Schüler und Schülerinnen, erfolgreiche Künstler und Künstlerinnen der 90er Jahre, von Sabina Hörtner, Jack Bauer, Markus Wilfling, Bernhard Frühwirth bis Ronald Kodritsch, die Geschichte der Moderne in der Steiermark bis in die Zukunft fortschreiben. In der Ausstellung sind daher Arbeiten von folgenden seiner Schülerinnen zu sehen: Jack Bauer, Siggi Hofer, Sabina Hörtner, Bernhard Humting, Tatjana Lecomte, Klaus Mosettig, Christiane Schmid und Michaela Söll.

1 Arnulf Rohsmann, „Abstraktion und Abstrahieren in der österreichischen Kunst, in: Peter Weibel/Christa Steinle (Hg.), Identität:Differenz, 1940-1990. Eine Topografie der Moderne, Böhlau Verlag, Wien-Köln-Weimar 1992, S. 163-172
2 Amulf Rohsmann, Bischoffshausen. Struktur - Monochromie - Reduktion, Ritter Verlag, Klagenfurt 1991
3 Franz West. Legitime Skulptur (Kat.), Neue Galerie am Landesmuseum Joanneum, 7. 2. - 2. 3. 1986, Graz 1986 Gerhard Lojen. Raumzeichen. Bilder 1984-85 (Kat.), Neue Galerie am Landesmuseum Joanneum, 7. 2. - 2. 3. 1986, Graz 1986
4 Mit nur am Rand bemalten Bildern war 1966 Jo Baer bei der Ausstellung „Systemic Painting" in New York hervorgetreten.
5 Ausführung der Kunst am Bau-Projekte: Stahl- und Metallbau Bernhard Wallner, St. Radegund: Skulptur in Judenburg; Raumpartitur für K. J., Universität für Musik und darstellende Kunst, Graz; Johannes-Kepler­Denkmal, Graz Ernst Grein KG, Graz: Landesberufsschule Gleinstätten
6 Gerhard Lojen Werke 1955-2000 (Kat.), Neue Galerie am Landesmuseum Joanneum, Verlag Droschl, Graz 2001, S. 90-98.

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